Peter Engerisser Von Kronach nach Nördlingen Der Dreißigjährige Krieg in Franken, Schwaben und der Oberpfalz 1631-1635 Über den Gebrauch der Luntenschloßmuskete Über den Gebrauch der Luntenschloßmuskete: ... Ein gerne gepflegter Mythos ist die komplizierte und deshalb langwierige Handhabung der Luntenschloßmuskete. Die oft zitierte Behauptung, Wallhausen hätte für die Handhabung der Muskete 143 Kommandos Der Ablauf dieser Exerzierordnungen beginnt immer mit der Handhabung einer geladenen Muskete. Danach folgt ein Mittelteil mit dem Abfeuern des Schusses. Den Schluß bildet wieder der Ladevorgang. In der Praxis wurde dieses zeitraubende Prozedere nicht angewandt. Wallhausen beschreibt für den Einsatz im Gefecht nur zwei Kommandos: 1. Macht euch fertig! (Der Musketier setzte die Lunte auf). 2. Legt an! (Die Lunte wurde angeblasen, die Muskete in Anschlag gebracht und sofort abgefeuert). Der Ladevorgang erfolgte nach Wallhausen selbständig und ohne Kommando 281). Gut eingeübte Musketiere konnten auf konventionelle Art pro Minute 2, manchmal auch 3 Schüsse abgeben. Für geübte Musketiere gibt der Schweizer Hans Conrad Lavater in seinem Kriegsbüchlein von 1644 Lavater folgende Kommandos an: „1. Machet euch fertig zum schiessen. 2. Schlaget an. 3. Gebet fewr. 4. Auff die seiten rechts/oder lincks abtretten. 5. Den Lunden abgenommen. 6. Lüderet auf [schüttet Zündkraut auf die Pfanne] und ladet. 7. Leget die Musqueten auff die Achßlen/ vnd hencket euch widerumb hinten an.“ Einige interessante Details birgt auch Lavaters Schilderung der Musketenhandhabung geübter Musktiere im Gefecht: „Die abgerichten Soldaten haben im schiessen disen vortheil, sie nemmen zum ersten den Mund voller Lauffkuglen, vnd den Hosensack voller Pulfer (so mich umb etwas gefahrlich duncket), werffen die Gablen der Musqueten hinweg, vnd da sie sich fertig machen wöllen, nemmen sie ein hand voll Pulfer auß dem Hosensack, schütten dasselbig in das Rohr, oder geben mit dem Daumenfinger der Ladung einen truck, schütten das Pulfer ins Rohr, alßdann stampffen sie zwey mal den kolben der Musqueten auff den boden, damit sich das Pulfer im Rohr setze, darauff lassen sie auß dem Mund ein Lauffkugel auff das Pulfer ins Rohr lauffen, da dann durch den fall sich das Pulfer ziemlich setzet, vnd solches so starck vnd weit alß das mit dem Ladstecken gestampffte reichen mag: vnd auff diese form thut derselben einer fünff schüß eh der ander zween oder drey verrichten mag.“ 282). Im Gefecht ergab sich für den Musketier eine vielfältige Problematik. Ein allgemeiner Mißstand war, daß häufig zu hoch geschossen wurde. Wallhausen richtete an die Offiziere deshalb die eindringliche Mahnung: „Gewehne auch deine Musquetirer, daß sie allzeit, wann sie anlegen, die Mußquet vornen gar niedrig lassen sincken, als ob sie in die Erden schießen wolten, welches dir mächtigen Vortheil gegen den Feind bringet. [...] und so du vor deinem Feind bist, so halte dein Mußquet im anschlagen so nieder, gegen Fusvolck, als ob du ihn wollest in die Schinbein schiessen, [...] vnd dieses auß Ursachen, dz ein Musquet im loßdrucken sich allzeit höher gibt mit dem stossen [...] vnd wann schon ein Kugel zu niederig käme, so hat sie doch ihren Effect im auffgellen.“ Zielten die Musketiere auf normale Höhe, so flogen die Kugeln meist über die gegnerischen Schlachtreihen hinweg: „[...] dan allezeit die Musquetirer im Treffen [Gefecht] zu hoch geschossen, vnd kaum die vierdte [Kugel] in des Feinds Truppen kommen.“ 283). ...Wurden diese Anweisungen beherzigt und die Muskete tief gehalten, so ergab sich daraus ein anderes Problem, daß nämlich die Kugeln, weil man sich häufig das zeitraubende Verdämmen derselben sparte, wieder aus dem Lauf herausrollten. Gerade die routinierten Soldaten meinten, nach der weiter oben von Lavater geschilderten Methode, sich die Arbeit des Verdämmens sparen zu können. Damit ihnen nun die Kugeln beim Niedrighalten der Muskete nicht hinausrollten, hielten sie diese beim Zielen waagrecht oder höher an, mit dem Resultat, daß viele über die gegnerischen Reihen hinwegschossen. Eine ähnliche Situation gleicher Ursache aber anderer Wirkung ergab sich auch, wenn Musketiere aus erhöhten Stellungen, wie Wällen, Verschanzungen oder anderen Befestigungen nach unten schießen mußten. Sir James Turner schreibt diesem Phänomen den Sieg der Schweden gegen die verbündeten kaiserlich-sächsischen Truppen am 4.10.1636 in der Schlacht bei Wittstock zu. Es hatte sich nämlich bereits die oben geschilderte Gewohnheit eingebürgert, daß man, um schneller feuern zu können, nach dem Einfüllen des Pulvers und der Kugel in den Lauf, die Muskete nur kurz mit dem Schaft auf den Boden stieß um die Ladung zu komprimieren, anstatt mit dem Ladestecken und einem Pfropfen diese richtig zu verdämmen. Das Resultat war, daß, weil die Schweden bergauf stürmten, diese fast immer trafen, während den Kaiserlichen, welche auf einem Hügel standen und von oben nach unten schießen mußten, die Kugeln aus den Musketenläufen rollten. Der ehemalige Kommandeur empfahl deshalb allen Musketieren dringend ..... ...Ein anderes Problem für den Musketier ergab sich bei Regenwetter. Die oft gehörte Behauptung, bei Regen wären die Schlachten des Dreißigjährigen Krieges ausgefallen, entbehrt jedoch jeglicher Grundlage. Bei Feuchtigkeit oder leichtem Regen gingen die Kampfhandlungen, zwar mit Einschränkungen, aber sonst ganz normal weiter. Das Pulverbandelier wurde unter dem Casack, einem ponchoartigen Umhang aus Wollstoff oder Loden getragen, die unangezündeten Lunten wurden unter dem Hut aufbewahrt und der Deckel der Zündpfanne wurde mit Unschlitt (Talg) verschmiert, „wie vorsichtige Musketierer zu tun pflegen, wenn sie das Zündloch und Pulver auf der Pfannen im Regenwetter vor Wasser verwahren wollen“285) Ein größeres Problem war es, die brennenden Lunten trockenzuhalten. Oft wurden diese zwischen Kopf und Hut eingeklemmt und so vor der Nässe geschützt. Bei leichtem Regen wurde das brennende Ende der Lunte in ein am Bandelier befestigtes, gelochtes Metallröhrchen, den sogenannten Luntenverberger gesteckt und festgeklemmt. Dieser verhinderte auch, daß in der Dunkelheit die glimmende Lunte zu bald ..... Überhaupt war die mehr oder weniger gute Qualität der Lunten ein wichtiges Kriterium für den Ausgang eines Gefechts. Die Lunte war eine speziell behandelte, geflochtene oder gedrehte Flachs- oder Hanfschnur von der Stärke eines kleinen Fingers (810 mm), die, wenn sie eine gute Qualität hatte, etwa mit einer Geschwindigkeit von 16 bis 20 cm pro Stunde glimmte. Ein Musketier hatte mehrere Stücke in der Länge von 67 Spannen (ca. 1 m) bei sich.286) Bei der Handhabung der Muskete wurde die Lunte an beiden brennenden Enden zwischen kleinem Finger und Ringfinger sowie Ring- und Mittelfinger der linken Hand gehalten. Wurde ein Glutende beim Lösen des Schusses durch den Pfannenblitz ausgeblasen, mußte man sich vom anderen Ende wieder Feuer holen können. Baumwolle, wie sie heute teilweise von historischen Gruppen verwendet wird, war als Material für Lunten erstens ungeeignet und zweitens nur schwer verfügbar, da sie zu dieser Zeit aus Italien importiert werden mußte und hauptsächlich für Bekleidungsstoffe (Barchent) verwendet wurde. Nur die erstgenannten Materialen erzeugten einen entsprechend heißen, exakten und relativ geruchsarmen Glutkegel. Diese Hanf- oder Flachsschnüre wurden bei der Luntenherstellung in einer Lauge aus 3 Teilen Holzasche, 1 Teil ungelöschtem Kalk, 1 Teil Salpeter und 2 Teilen Rinderdung gekocht und anschließend getrocknet 287). Die richtige Zubereitung der Lunte war für die ordnungsgemäße Funktion der Muskete außerordentlich wichtig. Bei zu geringem Salpeteranteil brannte sie schlecht. War der Salpeteranteil zu hoch, dann versprühte sie kleine Salpetertröpfchen, wobei ein einziger Funke, der unkontrolliert auf die Pulverpfanne, in ein Pulvermaß des Bandeliers oder gar in die Pulverflasche gelangte, für den Musketier fatale Folgen hatte. Eine aus dieser Tatsache resultierende und von allen Militärtheoretikern mit Nachdruck erwähnte Sicherheitsmaßnahme war, daß, sobald die brennende Lunte auf den Luntenhahn aufgesetzt war, die Pulverpfanne zusätzlich mit zwei Fingern abgedeckt werden mußte, damit sich beim nochmaligen Anblasen der Lunte kein Fünkchen in den Spalt der geschlossenen Pulverpfanne verirrte. Selbst Grimmelshausen erwähnt dies in seinem Simplicissimus: „[...ich] blies ab und paßte mit zweien Fingern auf der Pfanne auf, wie bräuchlich ist.“ (3. Buch, 9. Kap.). Das heute oft gehörte Rezept, wonach Lunten in einer Lösung aus Bleizucker (Bleiacetat) getränkt wurden, entstammt einem zeitgenössischen Feuerwerkerbuch und war allein aus Mengengründen aber auch wegen seiner Giftigkeit für Militärzwecke nicht geeignet. Die von einem Musketierregiment benötigten Quantitäten an Lunten waren nämlich erheblich. Wallhausen berechnete für ein Regiment, welches nur seine Wachten bestellte und nicht in Kämpfe verwickelt war, pro 100 Mann und Monat einen Zentner Pulver und 4 Zentner Lunten 288). Bei einem um 1615 noch üblichen Vollregiment von 3000 Mann, davon 1500 Musketiere, ergab dies 2 Zentner Lunten pro Tag oder 60 Zentner pro Monat. Ein englisches Regiment der Garnison von Lyme in der Stärke von 1500 Mann verbrauchte im Jahr 1640 pro Tag 5 Zentner Lunten 289). Um Material zu sparen, marschierte bei Truppenbewegungen deshalb immer nur ein Teil der Musketiere mit brennenden Lunten.... Über Kroaten, Kosaken und ander irreguäre Truppen: ... Die Berichte des sächsischen Gesandten und Agenten Friedrich Lebzelter an den sächsischen geheimen Rat mögen einen kleinen Eindruck vom Hausen der Kosaken vermitteln. So berichtet Lebzelter am 21. Februar 1620 aus Wien: „[...] es sein rechte Bluthunde und teuflische Leut deren man im ...Die Mißstände und Ausschreitungen der polnischen Hilfstruppen erreichten ihren Höhepunkt, als sich das kaiserlich-bayerische Heer auf seinem Feldzug durch Böhmen bewegte. Während das bayerische Heer durch einen riesigen logistischen Aufwand versuchte, seinen Nachschub und Proviant aus Bayern nachzuführen, streiften die Kosaken Buquoys Tage und Wochen nach Proviant und verwüsteten die Umgebung. Die Stadt Pisek wurde von ihnen am 30. September 1620 mitten unter den Kapitulationsverhandlungen Buquoys ohne Befehl gestürmt und geplündert. 2700 Menschen wurden dort und in Prachatiz niedergehauen, weder Manns-, noch Weibspersonen, Alte oder Kinder wurden verschont. Die zeitgenössischen Berichte von Buquoys irischem Beichtvater Fitzsimon und dem bayerischen Feldzugsjournal bringen haarsträubende Details. Dies ging soweit, daß es selbst Maximilian und Buquoy zu viel wurde und der Bayernherzog „die Rache Gottes für ein so barbarisches Treiben“ fürchtete. Der bayerische General Tilly beschwerte sich offiziell über die Ausschweifungen und den mangelnden Aufklärungsdienst der polnischen Truppen und der General Buquoy selbst hieb vor Kloster Plass dermaßen mit Prügeln unter die Plünderer, „dass man ihm nicht Stecken genug zutragen können“ 356)... ....Zum direkten Zusammenstoß zwischen Ungarn und polnischen Kosaken kam es schließlich in der Schlacht am weißen Berg bei Prag am 8. November 1620. Etwa 3000 Mann leichter polnischer Reiterei unter ihrem Kommandanten Stanislaus Rusinowski kämpften hier auf Seite der Kaiserlichen während auf Seite des böhmischen Ständeheeres 5000 Ungarn unter dem Obersten Caspar Cornis standen (Bornemisza war in den Tagen vor der Schlacht verwundet worden und lag krank in Prag). Nach den Aufzeichnungen Christian d. J. von Anhalt präsentierten letztere sich in 9 Regimentern, teilweise als die uns eingangs von Wilhelm Schäfer/Dilich beschriebenen Husaren mit Lanzen, teilweise als Heiducken, welche wie Arkebusiere bewaffnet waren („[...] en 9 troupes, partie Hussaires qui portent Copies, partie Haiducques, que sont Arquebuziers“). Die Ungarn waren erst in der Nacht vom 7. auf den 8. November in dem Dorf Rusin bei Prag von wallonischen Regimentern überfallen worden und in denkbar schlechter Verfassung. Dies war wohl der Grund daß sie, als sie am Tag der Schlacht von den Polen angegriffen wurden, nahezu ohne Gegenwehr panikartig die Flucht ergriffen, wobei ein Großteil der Fliehenden niedergemacht wurde oder in der Moldau ertrank. Buqouys irischer Beichtvater Heinrich Fitzsimon berichtet in seiner Schrift „Quadrimestre Iter“, daß die Polen „mit verhängtem Zaum und einem greulichem Geschrei oder vielmehr Geheul“ angriffen und Gindely schildert im 17. Bericht der Acta Bohemica den Angriff der Polen wie folgt: „In diesem Treffen haben sich die Polacken trefflich gewehrt, in beiden Händen einen Säbel geführt und den Zaum vom Pferd im Maul gehalten und grossen Schaden gethan mit Niderhawen, in welchem sie oft geschrien: O Lutherani schelmo, curvae sünu, hrom sebyl. Das ist: O ihr Lutherischen Schelmen und Huren Söhne, dass euch der Donner erschlage.“ 380).... ... Mit dem 1. Generalat Wallensteins (ab 7.4.1625) wuchsen die im ungarischen Kernland und in Oberungarn (heute Slowakei) angeworbenen leichten Reitertruppen mit den nun verstärkt in Kroatien, Slawonien und Siebenbürgen (Rumänien) geworbenen Söldnern immer mehr unter dem Begriff „Croaten, Crobaten, Crabaten“ zusammen, während die polnischen Kosaken, zusammengefaßt unter dem damals noch nicht im heutigen Sinne abwertenden Begriff „Polacken“, sich kontinuierlich verringerten. Wallenstein in seiner Verpflegungsordonnanz vom 5.1.1632: „Einem Kürisser Reutter sol man [...] zu geben schuldig sein monatlichen an Geld 9 Gulden [...] Ein Archibusier Reutter aber, wie auch denen Crobaten und Poläcken an Victualien täglich eben so viel. An Gelt aber monatlich nur 6 Gulden.“ 389). Gallas spricht im Januar 1635 von den „Polacken und Croaten des Ludwig [Isolano] und Losi [Peter von Losy]“ 390), während Chemnitz generell „Croaten, Hungarn und Polacken“ in einen Topf wirft 391). Ab Mitte des Krieges führten diese Truppen, zusätzlich zu Säbel und Pistolen, fast durchwegs den kurzen Radschloßkarabiner und näherten sich somit in ihrer Bewaffnung zunehmend den Arkebusieren an... ...Eine eher originelle Schilderung der „Crabats“ im Feldlager bei Zirndorf im August 1632 bringt William Watts im Swedish Intelligencer bei der Schilderung der im Lager grassierenden Seuchen wie der roten Ruhr: „Niemand ist so gut gegen diese Krankheiten gefeit wie die Crabaten, welche täglich ganze Hände voll roher Zwiebeln und Knoblauch essen, so wie ein Italiener Salate oder unsereiner Äpfel; man wollte meinen, daß sie vorhaben, ihre eigenen Quartiere und den ganzen Lagerplatz auf diese Weise auszustänkern.“ 402). Über die oft prahlerisch kostbare Ausrüstung der Kroaten schreibt das Theatrum Europaeum während der Kampfhandlungen in Brandenburg im Januar 1631: „Under solchen Handlungen gingen zwischen den Kayserischen und Schwedischen in dem Churfürstenthumb Brandenburg viel Scharmützel und Überfäll vor, darbey sonderlich die Crabaten tapffer herhalten musten, weil die Schwedischen sehr reiche Beuten von ihnen erlangten. Dann sie hatten theyls Gürtel von Goldt vnnd Silber umb den Leib, auch gantze Blatten von Goldt vnnd Silber geschlagen vor der Brust, auf den Stirnen [und] am Gezäumb der Pferde, auch an den Sätteln, Pistolen und Säbeln, welches manchem, der es besser anzulegen wuste, zu guten statten kam.“ 403) .... ... Vom Zeitpunkt des Prager Friedensschlusses an sollte der Krieg noch volle 13 Jahre in Deutschland toben und die Länder vollends verwüsten. Von da ab war „Wüste, in der Zeit wie im Raum, Wüste, durch welche die Söldnerheere, Polen, Italiener, Schotten, Flamen, Kroaten, Kosaken, Griechen, In der Pflege Coburg betrug der Bevölkerungsverlust von 1618 bis 1650 insgesamt 60 Prozent, wobei in einigen ländlichen Bereichen um Coburg, Römhild, Hildburghausen und Eisfeld bis zum Kriegsende gar zwischen 75% und 100% der Bevölkerung verschwanden 823). „Dadurch wurde das Land vollends ausgesaugt, so daß viele Unterthanen Haus und Hof verließen, viele wegen Mangel an Lebensmitteln, sich mit Erde, Kleien, Staubmehl-Brot, Baumrinde, Leinkuchen, Treber, Eingeweide, Hunde und Katzen, ja sogar todten Aas sättigen mußten. Viele starben und verschmachteten vor Hunger, so daß in manchem Dorfe nicht 23 gesunde Männer anzutreffen waren.“ 824). Es ist bezeichnend, daß diese zweite Hälfte des Krieges, obwohl an Ereignissen nicht weniger arm als die erste (Chemnitz füllt bis zum Jahr 1646 noch mehr als 1500 Großfolioseiten, der Rest, wahrscheinlich noch einmal so viel, ging beim Brand des Stockholmer Schlosses im Jahr 1697 verloren) in den Werken der modernen Historiker und Schriftsteller meist nur einen verschwindend kleinen Raum einnimmt. Die Geschehnisse waren austauschbar geworden und das namenlose Elend läßt sich nicht beliebig wiederholen, ohne monoton zu wirken. Selbst das Theatrum Europaeum, sonst eher sachlich und emotionslos, klingt im Ausblick auf die kommenden Jahre fast resignierend: „Aber in dem Reich gieng es dieser Zeit erbärmlich her. Die Landkinder waren vertrieben und Frembde hatten das Reich ein[genommen]. Welche aber noch zu Hause waren, wurden dermassen von den fremden Völckern gehandelt, daß sie lieber das bittere Elend hätten bauen, als den Untergang des Vatterlandes sehen sollen: Auf einer Seyten wüteten die Schweden, Finnen, Lappen, Irrländer und dergleichen, auff der anderen Croaten, Cosaggen, Polacken, Hussaren, Spanier, Wallonen, und wuste niemand, wer da Freund und Feind wäre, dann es war kein Unterscheyd. Wer Gelt hatte, war Feind, wer nicht hatte, wurde doch dafür gehalten, und deßwegen gemartert. Da war kein Unterscheyd Orts oder Personen, in Heiligem und Unheiligem, geweytens und ungeweytens, und die jngeborne Landkinder befleissigten sich in der Tyranney die Meister zu übertreffen. Niemand suchte Frieden von Hertzen, sondern ein jeglicher das Seine. Ehr- und Geltsucht war die Mensur, nach welcher alle Dinge gemessen wurden. Der helle Hauff litte wie das unvernünftige Vieh, das sich schlagen und reuffen läst, und siehet sich nit eines um nach deme der es schlägt, sondern giengen in ihrem Sinne also fort, als von Pressuren trunckene Leuthe.“ 825)...
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